Interview with Commissioner Gaviria: “Die droguenpolitik ist grundverkehrt” (Drug policy is wrong from the ground up)

A new UNO report shows a dramatic increase in the production and consumption of illicit drugs all over the world. César Gaviria from the Global Commission on Drug Policy calls for a new approach.

Read original article in German in the NZZ am Sonntag here.

Die droguenpolitik ist grundverkehrtDie droguenpolitik ist grundverkehrt

Ein neuer Uno-Bericht verzeichnet auf der ganzen Welt einen dramatischen Anstieg bei der Produktion und dem Konsum illegaler Drogen. César Gaviria von der Weltkommission für Drogenpolitik fordert ein Umdenken.

NZZ am Sonntag: Sie haben als Präsident Kolumbiens den Drogenbaron Pablo Escobar besiegt. Über die Ereignisse von 1993 laufen im Moment zwei populäre Filmserien, «Narcos» und «Escobar: Der Patron des Bösen». Welche trifft die Realität besser?

César Gaviria: Der «Patron des Bösen» ist sehr detailliert und gut gemacht, geht aber nicht auf die politischen Aspekte des Drogenhandels ein oder gar auf die Interventionen der amerikanischen Drogenbehörde DEA. Auch die Serie «Narcos» – produziert von Netflix – stellt die bekannten Fakten dar. Interessant daran finde ich, dass hier nicht die Gringos als die Guten präsentiert werden und die Latinos als die Bösen. Vielmehr gibt es auf beiden Seiten Gute und Böse. So, wie es in Wirklichkeit auch ist.

Kann man sagen, dass Sie im Kampf gegen Escobar – den damals mächtigsten Drogenhändler der Welt – den ersten grossen Drogenkrieg geführt haben?

Der Drogenhandel in Kolumbien wurde schon früher zum Krieg, 1984, als Justizminister Rodrigo Lara ermordet wurde. Der kolumbianische Staat war darauf schlecht vorbereitet. Wir hatten keinen guten Geheimdienst, keine gute Polizei und auch keine richtige Justiz. Als Escobar starb, waren wir schon viel besser organisiert.

Dann hat also Escobar letztlich den kolumbianischen Staat gezwungen, seine Sicherheitspolitik und Justiz zu verbessern?

Kolumbien hat riesige Anstrengungen unternommen. Wir geben heute rund 5 Prozent des Bruttoinlandproduktes für Militär und Sicherheit aus. Das ist vergleichbar mit den USA. Wir sind in der Lage, das Problem zu handhaben. Denn die Drehscheibe bleibt Kolumbien. Hier gehen die Drogen für die USA durch – und auch die für Europa.

Diese Woche erschien der neue Drogenbericht der Uno. Er zeigt ein dramatisches Bild: global mehr Heroin, mehr Kokain, mehr Amphetamine, mehr synthetische Drogen. Wie kann der Kampf gegen die Drogen scheitern, wenn Kolumbien und viele andere Länder so viele Ressourcen investieren? Was läuft schief?

Die Politik läuft schief, nämlich die der Kriminalisierung der Drogen. Das verursacht heute mehr Schaden als die Drogen selbst. Diese Politik ist gescheitert. Die heutige Drogenpolitik ist grundverkehrt.

Was wäre besser?

Was uns vorschwebt, ist das Modell von Portugal. Nämlich den Drogenkonsum als Gesundheitsproblem zu behandeln. Darum hat man dort auch keine Probleme mit Drogengewalt oder mit der Drogenmafia, wie man sie in Kolumbien, Brasilien, den USA oder woanders sieht. Egal, welche Drogen die Leute in Portugal nehmen, auch Heroin oder Morphin, sie können in jedes beliebige Spital gehen und sagen: «Ich bin süchtig. Können Sie mir helfen?»

Das heisst: den Drogenkonsum als Angelegenheit der öffentlichen Gesundheit betrachten.

Genau! Man kann nur das kontrollieren, was der Staat reguliert. Wenn er aber Drogen ganz verbietet, geraten die Dinge ausser Kontrolle, und es entsteht eine Mafia. Verbote funktionieren nicht. Wir in der Weltkommission für Drogenpolitik sind darum für die Regularisierung des Drogenkonsums.

Also die Legalisierung?

Dieser Begriff bringt viele Zweifel und Ängste mit sich, darum vermeiden wir ihn.

Demnach müsste auch der Konsum von Kokain, von Heroin und von all den neuen synthetischen Substanzen reguliert werden.

Ja! Nirgendwo ist ein Heroinabhängiger besser aufgehoben als in den Händen eines Arztes. Er kann ihn behandeln, er kann ihm Alternativen zeigen. Auch in der Schweiz verfolgen Sie ja diese Politik.

Und was macht man mit den Drogenhändlern? Der ganzen Struktur dahinter?

Sie wird in dem Ausmass verschwinden, in dem man die Behandlung der Süchtigen den Ärzten überlässt. Das wird der Drogenmafia ein Ende bereiten. Diese existiert ja nur wegen der Prohibition.

Verschiedene US-Gliedstaaten haben mit dem legalen Verkauf von Marihuana begonnen. Was man bis jetzt sieht, ist ein steigender Cannabiskonsum.

Es gibt ja auch den Konsum von Alkohol und anderen Substanzen. Aber was ist dabei, wenn erwiesen ist, dass Marihuana nicht sehr viel mehr Schaden anrichtet als Alkohol? Warum so viel Energie und Ressourcen investieren, nur damit die Leute nicht Marihuana rauchen?

Die neue US-Regierung will den Drogenkonsum wieder stärker bestrafen.

Ja! Das ist mehr vom Gleichen. Sie investieren so viel Geld in Richter und Gefängnisse, und doch steigt der Drogenkonsum.

In Mexiko wurden dieses Jahr mehr als 10 000 Personen ermordet, viele im Drogenkrieg. Statistisch gesehen lebt es sich in Mexiko damit ähnlich gefährlich wie in Syrien.

Die Sache gerät ausser Kontrolle. Das ist aber nicht nur die Schuld der Mexikaner, sondern auch die der USA. Denn es gibt dort heute mehr Nachfrage nach Drogen als früher. Und die Folgen sieht man in Mexiko. Aber das Land erträgt keinen ewigen Krieg, mit Tausenden Toten jedes Jahr, nur damit sich die USA die Bequemlichkeit erlauben können, die gleiche Drogenpolitik wie immer zu betreiben. Und das, obwohl sie wissen, dass diese Politik gescheitert ist.

Das heisst, die Verantwortung für die Gewalt liegt letztlich bei den Drogenkonsumenten?

Sie liegt in den Händen der Länder, in denen Drogen konsumiert werden. Wichtig ist, dass die Welt die Politik der Prohibition beendet. Denn sie hat nur Gewalt gebracht. Wir müssen das auf eine Art und Weise angehen, die intelligenter ist und die weniger Schaden für die Gesellschaft mit sich bringt.

Der originale Artikel in der NZZ am Sonntag hier lesen.