NZZ: Wie Mexiko den Drogenkrieg beenden will – und was Ruth Dreifuss davon hält

(How Mexico wants to end the war on drugs – and what Ruth Dreifuss thinks about that).

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Zwei internationale Treffen verdeutlichten am Montag, wie sehr sich die Geister an der Frage des Umgangs mit illegalen Rauschmitteln scheiden. In Lateinamerika wird die Entkriminalisierung vermehrt diskutiert. Der Drogenkrieg in Mexiko gilt als bestes Beispiel für das Scheitern eines repressiven Frontalangriffs.
Nicole Anliker, Rio de Janeiro
Am 20. September 2018 verbrannte die mexikanische Marineinfanterie in Acapulco laut eigenen Angaben 4,7 Tonnen Kokain, 468 Kilogramm Marihuana und 54 psychoaktive Tabletten, die in den Gliedstaaten Guerrero und Morelos beschlagnahmt worden waren. (Bild: David Guzman / EPA)

Am 20. September 2018 verbrannte die mexikanische Marineinfanterie in Acapulco laut eigenen Angaben 4,7 Tonnen Kokain, 468 Kilogramm Marihuana und 54 psychoaktive Tabletten, die in den Gliedstaaten Guerrero und Morelos beschlagnahmt worden waren. (Bild: David Guzman / EPA)

250 Millionen Menschen konsumieren weltweit illegales Rauschgift. Dass dies eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit und die nationale Sicherheit darstellt, ist unbestritten. Die Geister scheiden sich jedoch darüber, wie das Problem bewältigt werden soll. Dies machten zwei Stellungnahmen am Montag erneut deutlich. Bei einem hochrangigen Treffen in New York rief der amerikanische Präsident Trump dazu auf, die Produktion von Drogen stillzulegen und deren Missbrauch zu bekämpfen. Knapp 130 Länder unterschrieben eine Absichtserklärung, mit der sie die Ziele unterstützen. In Mexiko erklärte die Weltkommission für Drogenpolitik fast zeitgleich eine Regulierung der Drogenmärkte als den effektivsten Weg, um die Probleme in den Griff zu bekommen. Sie stellte in dem Zusammenhang ihren neusten Bericht vor.

Donald Trump rief am Montag in New York zum vereinten Kampf gegen die Drogenproduktion auf. (Bild: Carlos Barria / Reuters)

Donald Trump rief am Montag in New York zum vereinten Kampf gegen die Drogenproduktion auf. (Bild: Carlos Barria / Reuters)

Dreifuss fordert Ende der Verbotspolitik

Das Treffen gegen den weltweiten Drogenmissbrauch in New York fand einen Tag vor dem Beginn der Uno-Generalversammlung statt und war von den USA einberufen worden. Dabei rief Trump zu mehr Engagement bei der Bekämpfung des Drogenmissbrauchs auf. Es sei von entscheidender Bedeutung, alle Formen des Handels und des Schmuggels zu stoppen, die den transnationalen Kartellen finanzielle Nahrung gäben, sagte er weiter. Die unterzeichnete Absichtserklärung sieht auch eine internationale Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Strafverfolgung vor.

Ruth Dreifuss, Alt-Bundesrätin und Präsidentin der Weltkommission für Drogenpolitik, nahm am 21. September 2018 an einer Sitzung der Kommission in Mexiko-Stadt teil. (Bild: Daniel Becerril / Reuters)

Ruth Dreifuss, Alt-Bundesrätin und Präsidentin der Weltkommission für Drogenpolitik, nahm am 21. September 2018 an einer Sitzung der Kommission in Mexiko-Stadt teil. (Bild: Daniel Becerril / Reuters)

Ein Ende der Politik von Verboten sei ein absolut notwendiger Schritt, hiess es hingegen ein paar tausend Kilometer weiter südlich in Mexiko-Stadt. Die Politik müsse alle Aspekte des Rauschgifthandels kontrollieren und nicht in kriminellen Händen lassen, erklärte die Präsidentin der Weltkommission für Drogenpolitik, Ruth Dreifuss. Damit könnten laut der Kommission mächtige kriminelle Drogenbanden geschwächt werden, die trotz jahrelanger Bekämpfung weiter gewachsen sind.

Regierungen müssten Vorschriften für Produktion, Vertrieb und Verbrauch aufstellen und überprüfen, betonte der ehemalige kolumbianische Präsident César Gaviria.

Die Weltkommission für Drogenpolitik wurde 2011 gegründet und hat derzeit 22 Mitglieder, unter ihnen 12 ehemalige Staats- oder Regierungschefs. In ihrem jüngsten Bericht gibt sie sieben Empfehlungen ab, um eine Regulation umzusetzen.

Mexiko als bestes Beispiel

Die Gruppe sucht seit 2011 nach neuen Wegen im Umgang mit dem Handel und dem Konsum von Rauschmitteln. Ihre Arbeit gründet auf der Meinung, dass das internationale Drogenkontrollsystem gescheitert sei. Es ist darum wohl auch kein Zufall, dass der neueste Bericht am Montag ausgerechnet in Mexiko vorgestellt wurde.

In dem Land tobt seit mehr als zehn Jahre ein überaus brutaler Drogenkrieg. Mehr als 200 000 Personen wurden bisher getötet. Mexikanische Drogenkartelle spielen zudem eine zentrale Rolle im internationalen Drogenhandel. Sie sind Hauptlieferanten der USA für Heroin, Methamphetamin, Kokain und Marihuana. Die Vereinigten Staaten kämpfen mit einer Drogenepidemie. Laut offiziellen Angaben ist die Zahl vermuteter Überdosis-Fälle zwischen Juli 2016 und September 2017 in 45 Gliedstaaten um 30 Prozent angestiegen.

Die jüngste Geschichte Mexikos zeigt beispielhaft, wie ein Frontalangriff auf den Drogenhandel die Gewaltspirale eskalieren lassen kann. Vor mehr als zehn Jahren erklärte Mexiko den Kartellen den Krieg. Zehntausende von Soldaten wurden auf die Strasse geschickt, um Jagd auf Drogenbosse zu machen. Die Strategie entpuppte sich als kurzsichtig. Sie provozierte blutige Konflikte um Nachfolgeregelungen und splittete die Kartelle auf. Die daraus entstandenen neuen kriminellen Organisationen befeuerten den Kampf um Mittel und Infrastruktur.

Damit soll nun aber Schluss sein. Der designierte mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador will eine Sicherheitsstrategie anwenden, die eher den Ansichten der Weltkommission für Drogenpolitik entsprechen könnte. Während des Wahlkampfs hat López Obrador eine mögliche Amnestie für Drogenhändler und Bauern, die illegale Substanzen produzieren, vorgeschlagen. Einzelheiten verriet er aber nicht. Mitglieder seiner künftigen Regierung haben zudem erklärt, dass Mexiko die Schaffung legaler Märkte für Marihuana und Opium evaluieren werde.

Kolumbien verzeichnet Kokain-Rekord

In Lateinamerika, der wohl am stärksten vom Drogenhandel betroffenen Weltregion, hat bisher nur Uruguay Cannabis legalisiert. Anbau und Verkauf stehen in der kleinen Nation unter staatlicher Kontrolle. In anderen Ländern, wie etwa Argentinien, wurde ein Gesetz für die medizinische Verwendung von Cannabis zwar genehmigt; bei der Umsetzung hapert es jedoch.

In den vergangenen Jahren haben sich immer mehr Präsidenten der Region für ein Umdenken in der Drogenpolitik ausgesprochen. Für regelmässige Aufmerksamkeit sorgten dabei die Äusserungen von Juan Manuel Santos, Kolumbiens inzwischen in Rente gegangenem Präsidenten. «Die auf Verbot und Repression gestützte Strategie hat nur mehr Tote, Gefangene und Kartelle hervorgebracht», erklärte er vor der Uno. Die globale Strategie im Kampf gegen den Drogenhandel müsse geändert werden.

Sein Nachfolger, der konservative Iván Duque, ist offensichtlich anderer Meinung. Am Sonntag kündigte er an, in den kommenden Tagen ein Dekret zu unterzeichnen, das es der Polizei künftig erlauben wird, alle Drogen zu beschlagnahmen, die Personen zum Eigenkonsum auf sich tragen. 1994 war dies vom Verfassungsgericht entkriminalisiert worden. Laut einem vergangene Woche veröffentlichten Uno-Bericht wurden in Kolumbien vergangenes Jahr knapp 1400 Tonnen Kokain hergestellt. Das sind 30 Prozent mehr als im Vorjahr und ist historischer Rekord.